ENES - Experten-Netzwerk-Essstörungen Schweiz

Binge-Eating-Störung

Emotionales Essen, ohne damit aufhören zu können und mit fortschreitender Gewichtszunahme

Definition

PatientInnen mit einer Binge-Eating-Störung (BES) erleiden wiederholte Episoden unkontrollierten Essens. Die Menge an Nahrungsmittel, die eine Person dabei zu sich nimmt, kann ganz unterschiedlich sein. Auslösend für das unkontrollierte Essen sind meist unangenehme Stimmungen, innere Anspannung, zwischenmenschliche Probleme, der Reiz attraktiver Nahrungsmittel oder auch der Hunger nach einer Phase kontrollierten Essens. Die Betroffenen essen häufig heimlich und meiden gesellschaftliche Situationen. Während des Essens fühlen sie sich kurzfristig erleichtert. Danach empfinden sie aufgrund des erlebten Kontrollverlusts Ekel-, Scham- und Schuldgefühle und Traurigkeit. Die eigene Figur und das Körpergewicht sind dabei eine Dauergedanke bei den Betroffenen. Im Gegensatz zur Bulimia nervosa verläuft die Binge-Eating-Störung ohne gegenregulierende Massnahmen. Dies führt dazu, dass die meisten Betroffenen Übergewicht oder eine Adipositas (BMI > 30) entwickeln. 

Diagnostische Kriterien

  1. Wiederholte Episoden von Essanfällen. Ein Essanfall zeichnet sich durch die folgenden beiden Merkmale aus:
    1. Übermässige Nahrungsaufnahme innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z.B. 2 Stunden). Dabei wird eine Nahrungsmenge konsumiert, die weit über dem normalen Durchschnitt für den vergleichbaren Zeitraum und unter vergleichbaren Bedingungen liegt.
    2. Gefühl des Kontrollverlustes über das Essverhalten (z.B. nicht mit dem Essen aufhören zu können oder keine Kontrolle über Art und Menge der Nahrung zu haben).
  2. Essanfälle treten gemeinsam mit mindestens drei der folgenden Symptome auf.
    1. Wesentlich schneller essen als normal.
    2. Essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl.
    3. Exzessive Nahrungsmengen, auch wenn man sich körperlich nicht hungrig fühlt.
    4. Alleine essen aus Scham über die konsumierte Menge.
    5. Selbstekel, Niedergeschlagenheit und Schuldgefühle nach dem übermässigen Essen.
  3. Deutlicher Leidensdruck wegen der Essanfälle.
  4. Die Essanfälle treten durchschnittlich mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von 3 Monaten auf.
  5. Die Essanfälle treten unabhängig von ausgleichenden Massnahmen und nicht zwingend mit Vorgeschichte einer Bulimia nervosa oder Anorexia nervosa auf.   

Vorkommen

Binge-Eating Störungen beginnen häufig im frühen Erwachsenenalter oder auch später, mit einer Häufigkeit (Lebenszeitprävalenz) von 1,9%. Dabei erkranken Frauen etwas häufiger als Männer (3:2).  

Risikofaktoren

Auslösend für die Entwicklung einer Binge Eating Störung sind u.a.:

  • Vorausgehende Diäterfahrungen, anorektische oder bulimische Phase
  • ausgeprägte Impulsivität in Verbindung mit erhöhtem Belohnungsbedürfnis, insbesondere für Nahrungsmittel
  • Innere Faktoren wie Hunger, negative Emotionen oder Stress und Schwierigkeiten, diese zu bewältigen.
  • Hohe Reiz-Reagibilität durch die leichte Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln; Werbung und soziale Umfeld können die Reiz-Reagibilität weiter erhöhen.  

Folgeerscheinungen

Im Laufe der Erkrankung entwickeln viele Betroffene depressive Verstimmungen und Angststörungen.

Von BES Betroffene verlieren ihr normales Völlegefühl. Als Folge der Essanfälle kann es zu akuter Magendilatation mit der Gefahr der Magenruptur kommen. Das Übergewicht erhöht das Risiko einer metabolisch assoziierten Erkrankung wie Bluthochdruck, Herz- Kreislauferkrankungen, Diabetes mellitus, Erkrankungen des Skelett- und Bewegungsapparats, Schlaf-Apnoe-Syndrom und Krebs.  

Behandlung

Die meisten Betroffenen streben zwar primär eine Gewichtsreduktion an, doch ist diese oft nur bedingt zu erreichen. Die Behandlung konzentriert sich deshalb darauf, eine regelmässige und ausgewogene Mahlzeitenstruktur zu entwickeln, die Selbstkontrolle bezüglich Emotionsregulation und Impulsivität zu verbessern und einen gestuften Bewegungsaufbau zu fördern. So lässt sich weitere Gewichtszunahme verhindern und die metabolische Situation verbessern. Psychisch kann dadurch eine Verbesserung von Stimmung und Lebenszufriedenheit erreicht werden.